Verkäufer kennen das, je höher Unternehmen investieren wollen, desto größer der Kreis an Menschen, die am Entscheidungsprozess beteiligt werden. Im Buying Center sind die Rollen, Befugnisse und Perspektiven von allen relevanten Stakeholdern gebündelt. Da ist es oft nicht leicht, sich einen Überblick über das „Who is Who“ des Entscheidungsgremiums zu verschaffen. Schließlich geht darum, die für diesen einen Verkauf wichtigste Stimme zu identifizieren, zu überzeugen und mit ihr in die Entscheidungskette vorzudringen. Nicht immer ist der Entscheider aus der Geschäftsführung oder Einkäufer wichtigste Zielperson im Verhandlungsprozess. Je komplexer das Produkt in der Anwendung, umso wichtiger wird der sogenannte „Technical Buyer“. Nur wird der von der Sales-Forschung und in Praxisleitfäden für den Vertrieb gerne übersehen.
Wer gehört zu den begehrtesten Kunden auf dem Automobilmarkt? Richtig, der Dienstwagenfahrer. Dienstwagenfahrer haben ein enormes Mitspracherecht an der Technologie, die sie steuern. Der Benutzer trifft die Einkaufsentscheidung maßgeblich, platziert aber eben nicht den Auftrag. In Marketingdeutsch: Der User ist nicht der Chooser („User-Chooser“-Problematik). Vor vier Jahren hat Dataforce zum ersten Mal einen rundum Blick auf die Gewohnheiten der beliebten Zielgruppe geworfen. Im vergangenen Herbst legten die Frankfurter Marktforscher nach. Es zeigt sich: Dienstwagenfahrer bleiben die heimlichen Entscheider im Kaufprozess. In mehr als der Hälfte aller Unternehmen werden Fahrzeuge von den künftigen Fahrern völlig frei oder nach Auswahl bestimmter Kriterien gewählt. Und, je größer das Unternehmen und seine Fuhrparkflotte, umso entscheidungsfreier sind sie. In der Finanz- und Versicherungsbranche können sich beispielsweise 93 Prozent der Fahrer ihren Dienstwagen selbst aussuchen. Es lohnt sich für die Branche also, die User-Persona und ihre Entscheidungskriterien genau zu identifizieren und von der Chooser-Persona abzugrenzen, um sie dann gezielt ansprechen zu können. Der Automobilmarkt macht es vor und umwirbt die Dienstwagenfahrer kräftig. Wie sieht es aber aus, wenn in produzierenden Unternehmen etwa der Kauf einer neuen Maschine ansteht, was ist die Rolle des Anwenders, auf welcher Ebene des Kaufprozesses spricht er mit? Damit der Kauf nicht am strategischen Missverständnis scheitert, ist es wichtig, die Rollenverteilung im Buying Center zu hinterfragen und sich dabei nicht nur auf die üblichen Verdächtigen zu konzentrieren.
Wenn Unternehmen investieren, dann verlagern sie die Verhandlungsphase in sogenannte Buying Center oder Decision Making Units (DMUs), zu deutsch Einkaufsgremien. Die informelle Gruppe setzt sich zusammen aus Vertretern der verschiedenen unternehmensinternen Interessensbereiche. Die Mitglieder sind für Verkäufer schwer zu identifizieren, weil die Gruppe nicht im Round-Table-Sinn existiert, sondern ein gedankliches Konzept ist, in dem Besetzungsstärke und Rollenverteilung wechseln können. Genaugenommen ist das Buying Center ein Marketing-Modell, das sich als Vertriebshilfe etabliert hat. Es kann auch als ein in die Jahre gekommenes, konservatives Konstrukt kritisiert werden. Denn es klebt an Rollen, Hierarchien und Befugnissen, ohne sich seit den 1970er Jahren maßgeblich verändert zu haben. Die Praxis zeigt außerdem, dass Entscheidungen vor allem über den Einkaufspreis und die Entscheider-Rolle gefällt werden, gleichberechtigte gruppendynamische Auseinandersetzung am ehesten bei hohem Kaufrisiko stattfindet. Es gibt ausreichend Wissen darüber, wie Entscheider und Einkäufer ticken. Der Nutzer, Anwender oder Technical Buyer – die Person, die den Dienstwagen nämlich lenkt, ohne ihn gegen die Wand zu fahren – ist dagegen noch weitgehend unbeschrieben. Dabei ist er der Mensch mit der praktischen Expertise. Er muss am Ende des Tages mit dem Einkauf zurechtkommen. Sein Standpunkt hat deshalb Gewicht und kann die anderen Mitglieder beeinflussen.
In Buying Center oder Einkaufsgremien sind je nach Unternehmensgröße unterschiedlich viele Mitarbeiter und Führungskräfte involviert. Seit dem Gruppenmodell von Webster/Wind Anfang der 1970er Jahre sind darin klassisch besetzt:
Anwender/Verwender/User: Weiß sehr genau, welche Anforderungen das neue Produkt erfüllen soll. Verfügt über Praxiswissen und Erfahrung. Nennt Präferenzen.
Beeinflusser/Berater/Influencer: Interner oder externer Fachmann, kennt das neue Produkt, kann seine Qualität und Anforderungskriterien beurteilen. Hat Informationen.
Einkäufer/Buyer: Holt Angebote ein, verhandelt und bereitet Abschlüsse vor. Hat Befugnisse.
Entscheider/Decider: Trifft Kaufentscheidung von höherer Hierarchieebene und nach Wirtschaftlichkeit, Produktivität und Effizienz. Hat Macht.
Informationsselektierer/Gatekeeper: Ist für den Informationsfluss und die Vorauswahl der Informationen verantwortlich. Hat Wirkung.
Gut geschulte Vertriebler wissen natürlich genau, wer im Verkaufsprozess – Bedarfsermittlung, Angebotserstellung, Entscheidung – wann in Erscheinung treten wird und wie anzusprechen ist. Auch das Thema Emotionalisierung ist ausdiskutiert. Bekanntlich wägen auch Entscheider und Einkäufer nicht nur nach dem Kosten-Nutzen-Prinzip ab. Sie haben Vorlieben und Abneigungen, können das Risiko scheuen oder schaffen es nicht, dem Verkäufer und seinem Produkt zu vertrauen. Gegen Kaufreize, die seine persönlichen Bedürfnisse oder Einstellungen ansprechen, ist auch der Anwender nicht immun. Vor allem aber tritt er mit handfesten Sachargumenten auf und fordert handfeste Auskünfte. Er kennt die Sicherheitsanforderungen an eine neue Maschine und weiß genau, welche Komponenten den Produktionsprozess verbessern oder behindern. Selbst emotionale und subjektive Einschätzungen sind auf eine Verbesserung der Maschine aus, an der sein persönlicher Arbeitserfolg hängt.
Die Einschätzung, dass es Anwendern nur um die schnelle, bequeme Lösung geht, scheint zu einfach. Einen Hinweis liefert die User-Chooser-Studie. Wurde das Dienstfahrzeug in der Erhebung von vor vier Jahren noch nach repräsentativen Kriterien ausgesucht, hat in der Zwischenzeit offenbar die Bindung an den Arbeitgeber zugenommen weshalb, so die Schlussfolgerung, der Wagen für die Fahrer nun gebrauchsbegründet sein muss. Außerdem wollen sie am liebsten persönlich beraten werden und das Auto vor Ort testen. Es reicht ihnen nicht, und die Erkenntnis lässt sich sicher auf Anwender übertragen, über digitale Informationen, Chat und Hotlines mit Informationen versorgt zu werden. Sie wollen den spezifischen Nutzen im Gespräch erfahren.
TIPP: Es lohnt sich für Vertriebsmitarbeiter also, Zeit nicht nur in die Erstellung einer Buyer Persona zu investieren, sondern auch die Rollenverteilung im Buying Center zu hinterfragen und sich ein genaues Bild von der Technical Buyer Persona zu machen. Wo drückt ihn der Schuh, welche Verbesserungen erleichtern ihm das (Arbeits-)leben lang-, mittel- und kurzfristig? Was sind seine beruflichen Werte? Wie steht er zu den anderen Mitgliedern im Buying Center? Wichtig dabei ist, sich möglichst enggefasst auf die Anwenderperspektive zu konzentrieren und sie von Entscheidern sowie Einkäufern abzugrenzen. Wie das geht, lässt sich übrigens bei IT-Entwicklern abschauen, sie sind es gewohnt, den Anwender als Zielpublikum zu fokussieren.
CHECKLISTE: Wer ist der Technical Buyer?
Wie lauten seine demographischen Daten?
Wie ist seine Persönlichkeit (risikoaffin, entscheidungsfreudig, innovativ, konservativ…)?
Was ist seine Erfahrung bis hierher?
Welche Erfahrungen möchte er noch machen?
Wie arbeitet er bevorzugt (allein oder im Team)?
Was sind seine Bedürfnisse und Ziele?
Welche Probleme treiben ihn um und wie löst er die?
Was könnte ihn dazu motivieren, sich für das Produkt einzusetzen?
Was muss das Produkt aus seiner Perspektive leisten können?
Ist er zugänglich für Fachinformationen?
Welche Fachinformationen bevorzugt er?
Auf welchen Weg möchte er die Fachinformationen erhalten?
Welches Know-how kann er in den Kaufprozess einbringen?
Welchen Einfluss hat sein Wissen auf die anderen Mitglieder im Buying Center?
Wie gut kann er das kommunizieren?
Beitragsbild Quelle: ©iStockphoto.com/ronstick
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